Angela Merkel: Eine Frau, die die Welt veränderte (2024)

Angela Merkel war im Ausland beliebter, als viele Deutsche glauben mögen, wenn auch mancher Staatsführer wenig Sympathie für sie aufbrachte. Welches außenpolitische Erbe hinterlässt die Bundeskanzlerin nach 16 Jahren bei den Freunden in Washington, Paris oder Rom? Welchen Eindruck hinterließ sie in der Bevölkerung? Und wie hielten es die Autokraten in Peking und Moskau mit ihr?

Frankreich: 'Madame No' wird vertraut

Es hat eine Weile gedauert, bis die Franzosen mit Angela Merkel warm geworden sind. Bei den Französinnen ging es möglicherweise etwas schneller, genau lässt sich das nicht mehr rekonstruieren, denn es waren eigentlich nur Männer, mit denen die Kanzlerin in den vergangenen 16 Jahren in Paris zu tun hatte: vier Präsidenten und sieben Regierungschefs. Vielleicht rührt die sanfte Wehmut, die Merkels Abschied in Frankreich begleitet, auch daher, dass die eigenen Führungskräfte zuletzt ziemlich schnell verschlissen wurden.

82 Prozent der Französinnen und Franzosen vertrauen Angela Merkel, das hat das Pew Research Center gerade erst herausgefunden. Das ist dann doch überraschend. Schließlich galt Merkel in Frankreich lange Zeit als 'Madame No', die in Europa vor allem die deutschen Exportüberschüsse verteidigte. Auch sonst fällt ihre politische Bilanz aus französischer Sicht eher durchwachsen aus: eine rätselhafte Energiewende, eine orthodoxe Finanzpolitik, wenig außenpolitische Fantasie. Überhaupt kein Wagemut, dafür war sie halt sehr berechenbar. Und immerhin die Sache mit den Schulden hat Merkel dann doch noch korrigiert. Der europäische Wiederaufbaufonds, den sie und Emmanuel Macron im vergangenen Jahr erdacht haben, gilt in Paris parteiübergreifend als große Tat – und als ihr wichtigstes Erbe.

Es ist vor allem Merkels Persönlichkeit, weniger ihre Politik, die nun gewürdigt wird. In keinem der vielen Porträts, die zu ihrem Abschied erscheinen, fehlt der Hinweis auf das Appartement in Berlin-Mitte, in dem Merkel unverändert wohnt. Eine Kanzlerin in der Etagenwohnung, die am Wochenende selber einkauft – das erscheint vielen Französinnen und Franzosen irgendwie schräg und zugleich faszinierend. Sie sind von ihren Regierenden anderes gewohnt.

Das linksliberale Magazin L’Obs beschreibt Merkel und ihr Erbe in seiner jüngsten Ausgabe auf 14 Seiten. Wortreich beschwört Cécile Prieur, die Chefredakteurin, die "unglaubliche Aura der Kanzlerin". Deren Mangel an Extravaganz, ihr Verzicht auf jeglichen Glamour und die herkömmlichen Gesten der Macht hätten Maßstäbe gesetzt, schreibt sie: "Zum Abschied hoffen wir, dass Merkels Stil unsere französischen Führer mehr inspiriert, die immer schnell zu Arroganz neigen und eine übermäßige Vorliebe für die Vertikalität der Macht zeigen." Das Adieu für Merkel als Seitenhieb auf Macron – und die Verführungen des französischen Präsidialsystems.

Die Mehrheit der Franzosen hat gelernt, die deutsche Kanzlerin zu respektieren. Aber natürlich, nicht allen gilt ihre Zurückhaltung als Tugend. "Abwarten ist stets ihre erste Neigung", hatte Nicolas Sarkozy in seinen Erinnerungen geschrieben, was nicht als Kompliment gemeint war. Merkels Moderieren, ihr demonstratives Auf-Sicht-Fahren verträgt sich eher nicht mit dem Selbstbild eines französischen Präsidenten. Eine der konservativen Bewerberinnen, die im nächsten Jahr in Frankreich als Präsidentin kandidieren möchte, hat sich dennoch unlängst mit dem Hinweis empfohlen, sie sei "zwei Drittel Merkel". Allerdings hat sie vorsichtshalber hinzugefügt: und ein Drittel Thatcher.

Was Frankreich von dem oder der neuen Kanzlerin erwartet? "Initiative", heißt es, kurz zusammengefasst, im Umfeld von Emmanuel Macron. Auch diese Antwort kann man als Hinweis darauf verstehen, dass Merkel trotz der großen Wertschätzung in Paris nicht alle Erwartungen erfüllt hat.

Matthias Krupa, Paris

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Russland: Geachtet, weil prinzipientreu

Das unabhängige russische Lewada-Institut führte 2015 eine Umfrage nach der "Frau des Jahres" durch, in der die Befragten selbst mit einem Namen aufwarten sollten. Sechs Prozent nannten Merkel, das war die höchste Zahl überhaupt. Zu Frauen in der Politik fällt den Menschen in Russland leider nicht so viel ein, so kommt man auf sie.

Das Ende der Ära Merkelwird in Russland kaum jemanden besonders bewegen. Hierzulande interessieren sich nur wenige für ausländische Politiker, außer vielleicht für den amerikanischen Präsidenten, den großen Gegner, an dem man sich abarbeitet. Aber wenn in den vergangenen Jahren überhaupt ein ausländischer Regierungschef nach dem US-Präsidenten wahrgenommen wurde, dann war das Angela Merkel. Und das ist dann doch wieder bemerkenswert.

Es gibt zwei Sichtweisen auf die deutsche Kanzlerin. Die erste kommt von ganz oben und bildete sich nach der russischen Annexion der Krim 2014 heraus. Der russische Präsident war doch überrascht, dass sich die Europäische Union nach dem Angriff auf die Ukraine zu handfesten Wirtschaftssanktionen zusammenfand. Was Wladimir Putin aber besonders fuchste, war die Tatsache, dass Merkel diese Sanktionen organisierte und Europa in dieser Frage zusammenhielt. Seither sahen viele in der russischen Elite sie als Gegnerin.

Das Ressentiment brach dann immer wieder heraus, etwa in der Flüchtlingskrise 2015. Damals berichteten die Staatsmedien mit größter Verachtung über Merkels Haltung gegenüber den geflüchteten Syrern. Deutschland wurde im Fernsehen als ein Land dargestellt, das wegen Führungsfehlern von "Flüchtlingen überflutet" worden sei. Auch später spielten russische Staatsfunker gern auf ihre Schwäche an, besonders als Merkel 2019 ihre Zitteranfälle vor der Kamera hatte.

Tatsächlich aber haben viele in der russischen Präsidialverwaltung Achtung vor der Kanzlerin, wenn man dem glauben kann, was Insider erzählen. Ihre Haltung in der Krim-Krise war die eines würdigen Gegners. Putin hat Gerhard Schröder schon lange in der Westentasche, aber Merkel eben nicht. Sie ist vielleicht die Einzige der europäischen Politiker und Politikerinnen, vor der man wirklich Respekt hatte. In den Minsker Verhandlungen war sie geradlinig und berechenbar. Putin wusste bei ihr immer, woran er war.

Die zweite russische Sicht kommt von weiter unten, aus der Opposition und der städtischen Zivilgesellschaft. Der Meinungsforscher Lew Gudkow brachte es einmal so auf den Punkt: Merkel werde als sehr prinzipientreu wahrgenommen, sie gelte spätestens seit der Reaktion auf den Krim-Anschluss als stark, sie werde sogar als eine Art "Eiserne Lady" wie weiland Margaret Thatcher verstanden. Auch wenn das ein Missverständnis war, ist sie für kritische Intellektuelle von Bedeutung gewesen, weil "sie die Einzige war, die Putin wirklich Paroli bot", sagt der russische Journalist und Deutschlandkenner Alexander Sambuk.

Manche knüpfen Hoffnungen an sie, die sie nicht erfüllen kann. Die Bewohner eines Dorfes nahe der westsibirischen Stadt Omsk wandten sich an Merkel mit der Bitte, ihnen eine Straße zu bauen, die die russische Regierung nicht fertig bekommt. Solche Wünsche zeigen das Vertrauen, das ihr entgegenschlägt. Merkel ist für nicht wenige Russen die aus der Ferne glänzende Folie dessen, was Putin nicht ist.

Merkel diente aber auch schon der Regierung Putin als Leitbild, oder besser: als Rechtfertigung. Wenn schon eine europäische demokratische Regierungschefin so lange im Amt bleibe, dann sei es doch nicht weiter schlimm, wenn der ebenfalls vom Volk gewählte Putin so lange im Amt bleibe. Diese Begründung für den ewigen Putin allerdings fällt nun mit dem Abgang Merkels weg.

Michael Thumann, Moskau

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Italien: Schuljungen und die Sorge vor der Übermacht

Eine Kanzlerin in 16 Jahren, während Italien im gleichen Zeitraum acht Ministerpräsidenten verschliss: An diese Tatsache erinnern viele der Artikel, die sich jetzt in Italiens Medien dem Ende der Ära Merkel widmen. Und alle sind sich einig – die, die jetzt geht, war auch deshalb die einflussreichste Führungsperson in Europa. Der Journalist Massimo Nava, der gerade mit einem der größten Verlage des Landes eine Biografie der Kanzlerin veröffentlicht hat, ernennt sie im Untertitel gar zu der "Frau, die die Welt veränderte".

Ihre – wahre oder vermeintliche – Übermacht wurde in Italien immer wieder gerne beschworen. Noch heute erinnern die Medien an eine Pressekonferenz Merkels mit dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy im Jahr 2011, auf dem Höhepunkt der Eurokrise. Nach dem damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gefragt lächeln beide einander maliziös an – und nur wenige Tage später musste Berlusconi zurücktreten.

Als dann im Jahr 2015 Matteo Renzi, gerade zum Regierungschef ernannt, zum Antrittsbesuch nach Berlin reiste, sah er sich genötigt klarzustellen: Er werde sich ganz gewiss nicht von Merkel "wie ein Schuljunge" behandeln lassen. Und 2019 verkündete der Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, die damals gerade neu aufgelegte Regierung der Fünf Sterne und der gemäßigt linken Partito Democratico unter Premier Giuseppe Conte sei "nicht die Regierung Conte, sondern die Regierung Merkel".

Doch die Zeiten, in denen sie auch in italienischen Medien während der Griechenland-Krise schon einmal mit Hitlerbärtchen abgebildet wurde, sind lange vorbei. Lange vorbei sind auch die Begegnungen des deutschen Korrespondenten im Treppenhaus seines Wohnblocks mit dem italienischen Nachbarn, der mit finsterem Blick nur knurrte: "Grüßen Sie mir die Merkel!"

Heute dagegen fallen die Urteile versöhnlicher aus, bleiben oft genug jedoch kritisch. So bescheinigt ihr Gianni Bonvicini als erste Tugend die Vorsicht – setzt aber gleich nach, nicht immer sei Vorsicht das Gebot der Stunde. Als ein Beispiel nennt er Merkels langes Zögern, ehe die EU in der Griechenland-Krise aktiv wurde. Auch der Deutschland-Experte Beda Romano sieht bei ihr oft weniger Pragmatismus denn Opportunismus am Werk. Dennoch glaubt er, Italien verliere mit ihrem Rückzug "die verlässlichste Alliierte in Europa". Das gilt nicht zuletzt – und daran erinnern zahlreiche Kommentatoren – angesichts der Tatsache, dass sie und Emmanuel Macron das 750 Milliarden Euro schwere Programm Next Generation EU zur Überwindung der ökonomischen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie anschoben, aus dem Italien 191 Milliarden erhalten wird.

Völlig undifferenziert fällt dagegen das italienische Urteil über den Privatmenschen Angela Merkel aus, über die Urlauberin, die Jahr für Jahr nach Ischia fährt. Mehr als positiv erstaunt berichteten hier die Zeitungen, die Kanzlerin nehme nicht den Hubschrauber, sondern so wie die ganz gewöhnlichen Touristen die Fähre von Neapel, und voller Enthusiasmus nahmen sie zur Kenntnis, dass sie bei einem ihrer Inselaufenthalte den früheren Chefkellner ihres Hotels zu Hause besucht hatte, nachdem sie erfahren hatte, dass er in dem Haus nicht mehr tätig war.

Michael Braun, Rom

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USA: Nur mit Trump lief es nicht

Angela Merkel passt eigentlich nicht so richtig zu den Vereinigten Staaten. Zu dieser durchaus angenehmen, aber auch eingeübt oberflächlichen Freundlichkeit: "Sooo nice to see you", breites Lächeln, große Show. Aber vielleicht ist es genau dieser Kontrast, der die so unprätentiöse Kanzlerin beliebt macht. Und der Grund, warum sie mit (fast) allen Präsidenten, mit denen sie zusammengearbeitet hat, eine Ebene fand.

Die USA blicken nun unsicher gen Berlin. Weil sie nicht wissen, was kommt nach Merkel, der "vielleicht letzten Verteidigerin des liberalen Westens", wie die New York Times im November 2016 nach Donald Trumps Wahlsieg titelte und Merkel damit im intellektuellen Amerika zu endgültigem Superstarstatus verhalf. Ohne den Glamour, versteht sich. Aber mit ähnlicher Verehrung.

In Washington wird Merkels Stabilität geschätzt und ihre strategische Kompetenz auf internationaler Bühne. Im liberalen Teil des Landes wurde sie vor allem während der Trump-Jahre gefeiert. Als sie 2019 die Abschlussrede an der Harvard University hielt, kam das einem Superstarevent nahe, Standing Ovations inklusive. Dort erwähnte Merkel Trump kein einziges Mal, und hätte doch nicht deutlicher werden können. Niemals sollte man Lügen als Wahrheiten und die Wahrheit als Lüge beschreiben, gab sie den Absolventen mit. Trump war der Präsident, unter dem das transatlantische Verhältnis am meisten litt, unter dem sich das linke Amerika nach der konservativen Merkel und ihrer Art von Politik sehnte – und sie zu einer liberaleren Politikerin verklärte, als sie es war.

In besseren politischen Zeiten fuhr Merkel mit George W. Bush im Pick-up über seine Ranch in Texas. Der Demokrat Barack Obama nannte sie seine engste Verbündete und eine Freundin. 2009 verlieh er ihr die Presidential Medal of Freedom, die höchste zivile Ehre des Landes. Joe Biden stand im gleichen Jahr noch als Vizepräsident hinter Merkel im versammelten US-Kongress, als sie in einer Rede über ihre Kindheit und ihre damalige Begeisterung für den amerikanischen Traum und die Verheißung von Freiheit sprach. Als Präsident empfing Biden Merkel ein letztes Mal im Weißen Haus, noch einmal die große Wertschätzung, nachdem Trump ihr beim ersten Besuch während seiner Präsidentschaft den Handschlag verweigert hatte.

Merkel wird den USA fehlen, trotz aller Konflikte, die sie mit allen Präsidenten hatte. Mit Bush stritt sie sich um das Gefangenenlager auf Guantanamo und den Klimawandel, mit Obama über die NSA-Abhöraffäre, mit Trump über so ziemlich alles, mit Biden über Nord Stream 2 und China. Sie ist nicht mehr leicht, die transatlantische Freundschaft, auch, weil die Vereinigten Staaten andere Prioritäten haben. Und die Bürgerinnen und Bürger sowieso.

Deutschland, das ist für einige verbunden mit familiären Einwanderergeschichten, für andere mit German beer auf Oktoberfest-Kopien und auf der Europa-Reiseroute ist es vielleicht noch ein Zwischenstopp. Viel mehr im Alltag aber auch nicht. Amerika ist mit sich selbst beschäftigt. Aber wann immer die Freundin Angela Merkel zurückkehren wird – als Rednerin, Dozentin, Reisende – ein ganz und gar ernsthaft gemeinter warmer Empfang wird ihr sicher sein.

Rieke Havertz, Washington

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China: Pekings bester West-Kontakt

Nachdem Chinas Präsident kürzlich ein offenbar kühles Gespräch mit seinem US-Amtskollegen geführt hatte, war nur wenig später Angela Merkel an der Strippe. Obwohl auch dem westlichen, dem liberal-demokratischen Lager zugehörig, fand Xi Jinping für die Bundeskanzlerin warme Worte: wie sehr sie sich für den freundschaftlichen Austausch zwischen Deutschland, der EU und China eingesetzt habe und wie reibungslos in jeder Hinsicht die Beziehungen zwischen Peking und Berlin zuletzt gewesen seien. Premier Li Keqiang nannte sie zum Abschied in der ZEIT "eine alte Freundin Chinas".

Es war Merkels letztes offizielles Gespräch mit Präsident Xi, eine Art Abschiedstelefonat also. Die Bundeskanzlerin hat über eineinhalb Jahrzehnte eine chinafreundliche Politik betrieben, ihr Ansehen als Garantin einer prochinesischen Politik war in der KP-Führung entsprechend.

Sie war dabei nie unkritisch. Merkel hatte sich in China für drangsalierte Oppositionelle eingesetzt, und das auch (meist dezent) öffentlich gesagt. Sie hatte bei der Führung unter anderem darauf gedrängt, dass die Künstlerin Liu Xia, die Witwe des in einem chinesischen Gefängnis verstorbenen Oppositionellen und Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, nach jahrelangem Hausarrest 2018 China verlassen konnte. Besonders verärgert hat Chinas Führung, dass Merkel 2007 den Dalai Lama, den tibetischen Religionsführer im Exil, im Bundeskanzleramt empfing.

Gleichzeitig haben sich unter der Bundeskanzlerin die Handelsbeziehungen vertieft wie nie zuvor, die deutsche Wirtschaft machte zunehmend bessere Geschäfte mit China und auf der Gegenseite traf diese auf reformfreudige Privatunternehmer und Wirtschaftsfunktionäre. Zwölfmal war Merkel in China und initiierte regelmäßige Regierungskonsultationen und Treffen von Spitzenbeamten. Und wie die meisten Staatenlenker des Westens war Merkel lange davon ausgegangen, dass sich Chinas Politik mit zunehmender Integration in eine liberal-kapitalistische Globalwirtschaft an deren regelbasierte Ordnung anpassen, sich also öffnen würde, was bis zum Antritt des neuen Parteichefs Xi Jinping 2012 auch nicht unrealistisch war.

Seither hat sich die Lage kräftig verschoben, in China wird der autoritäre Parteistaat in Wirtschaft und Privatleben zunehmend präsenter, im Ausland setzt die Führung der KP die gewachsene Wirtschaftskraft Chinas als politisches Druckmittel ein. Merkel, die selbst in einem diktatorischen Einparteienstaat aufgewachsen ist, wird sich nie trügerische Illusionen über das autoritäre System in Peking gemacht haben. Dennoch hat sie die Politik immer fein säuberlich vom Geschäft getrennt. Das dürften die KP-Chefs an ihr geschätzt haben – auch wenn sie selbst beides zur Durchsetzung ihrer Interessen gern verknüpfen.

Diese Methode hat Merkel Kritik eingebracht. Vor Kurzem erneut im Kontext ihres letzten großen China-Projektes, des von Xi Jinping forcierten EU-Investitionsabkommens zwischen Europa und China. Das EU-Parlament hatte es gestoppt, nachdem die Regierung in Peking auf eher zahme EU-Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen muslimische Minderheiten in China mit scharfen Attacken gegen gewählte EU-Volksvertreter und Wissenschaftler entgegnet hatte.

Spätestens mit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-Präsident, dessen Regierung eine chinakritische Politik einschlug, die Nachfolger Joe Biden fortsetzt, hat Merkel versucht, eine moderierende Rolle zwischen den Staaten einzunehmen, eine, die Peking im Gespräch hält. Das auch immer mit dem Ziel, die Interessen der deutschen Exportwirtschaft schützen – was natürlich auch die Machthaber in Peking wissen.

Merkels zumindest nach außen getragenes Verharren auf einer eher neutralen China-Position Deutschlands wird sich in einer neuen Bundesregierung so wohl nicht aufrechterhalten. Zu rau ist das geopolitische Umfeld geworden, China trägt seineautokratischen Werte und Normen inzwischen auch ins Ausland, vorgetragen von aggressiven Diplomaten, den Wolf Warriors. Gleichzeitig sind die Beziehungen mit den USA so gut wie eingefroren – Deutschland und Europa müssen sich da zurechtfinden.

Die nächste Bundesregierung wird wohl weniger geschmeidig im Umgang sein als die vermittelnde Merkel. Sei es, weil die EU-Kommission ihre wirtschaftspolitischen Instrumente gegenüber China weiter schärfen wird, um beispielsweise staatlich subventionierte Investitionen aus China zu blockieren. Sei es, weil eher China-kritische Parteien wie die Grünen oder die FDP in die Regierung kommen können. Sei es, weil eine Mehrheit in allen großen deutschen Parteien jetzt eine härtere Linie gegenüber China unterstützt, wie eine Umfrage ergab. In Peking ist man auf jeden Fall vorbereitet: "Die Blütezeit der deutsch-chinesischen Beziehungen ist vorbei", meinte ein hochrangiger Diplomat, "China ist bereit, seine Muskeln spielen zu lassen, sobald Berlin seine Haltung ändert." Wie man es auch dreht: Xi und seine Leute werden Angela Merkel ein wenig vermissen.

Steffen Richter

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